Kurzbeschreibungen der Mitglieder: Herbert

Als '61er Jahrgang bin ich wohl der zur Zeit Älteste im Verein. Ich komme aus Düren, wohne aber seit 1983, als ich mein Studium der Elektrotechnik begann, in Aachen, wo ich auch als Ingenieur arbeite.

Jesus ist mein Lehrer, Freyja meine Göttin

So, zugegebenermassen recht provokant, möchte ich meine Selbstbeschreibung übertiteln. Ein Widerspruch in sich? Womöglich, meiner Meinung nach aber nur, wenn wir in strengen Kategorien, um nicht zu sagen Schubladen, denken. Ich habe allerdings immer schon gerne über den Gartenzaun und den Tellerrand gesehen. Dabei bin ich mehrfach zu einem Wanderer zwischen den Welten geworden, in vielerlei Hinsicht, ob es - in dem hier vorliegenden Zusammenhang - zwischen christlichen Konfessionen oder zwischen der heidnischen und der christlichen Weltsicht zu stehen und interessiert in beide Richtungen zu blicken galt. Auch in anderen Dingen lasse ich mich nicht gerne in eine "typische" Kategorie einordnen.

Mein weltanschaulicher Werdegang beginnt, wie wohl bei den meisten, mit meiner Taufe und Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche, in meinem Fall der römisch-katholischen. Wir mögen uns über den Sinn oder Unsinn der Gepflogenheit, Säuglinge zu taufen, die sich nicht selbst entscheiden können, trefflich streiten, meiner Meinung nach ist es allerdings überaus sinnvoll, wenn nicht gar geboten, Kinder frühzeitig mit bestimmten Werten vertraut zu machen, wenn sie auch später die Freiheit haben, sich anders zu entscheiden. Diese mir in meiner christlichen Erziehung vermittelten Werte, für die ich beispielhaft Mitmenschlichkeit, Toleranz, Barmherzigkeit und Nächstenliebe (über den konkreten Inhalt dieser Begriffe bin ich gerne bereit zu diskutieren) nennen möchte, sind für mich noch heute aus freier Entscheidung verbindlich, von daher die erste Hälfte der provokanten Überschrift. Das Leben dieser Werte hat für mich weniger eine geistige als eine pragmatische Dimension: niemandem zu schaden, ohne Ansicht der Person (im Sinne 3. Artikels des Grundgesetzes), jeden Menschen mit seinen Eigenheiten und Macken zu respektieren, meine eigene Weltsicht nicht zum Mass aller Dinge zu machen. In diesem Sinne verstehe ich sogar den hochchristlichen Begriff der "Erlösung", der für mich nie die Befreiung von irgendeiner abstrakten und unverständlichen Erbsünde bedeutet hat, sondern das Herauslösen aus der Angst vor dem kleinkarriert strafenden Gott und aus der Starre überkommener Gesetze. Belege? Seht euch die zahlreichen Stellen an, in denen "Schriftgelehrte" Jesus mit dem Buchstaben des Gesetzes kommen, mit der Androhung der Verdammnis, und dieser die Anwürfe abschmettert mit den Klarstellungen, dass Barmherzigkeit höher steht als rachedurstige Bestrafung, und vor allem kreative Menschlichkeit wichtiger ist als das Festklammern am Gesetz.

Meine Anerkennung Jesu als Lehrer impliziert ein "Aber". Spirituell habe ich mich doch etliche Schritte vom Christentum in seinen verfassten Formen entfernt. Nichts gegen eine feierlich begangene Osternacht, nichts gegen eine persönlich gestaltete Andacht mit Freunden, diese Ereignisse berühren mich nach wie vor.
Nichtsdestotrotz wurde mir immer wieder schmerzlich bewusst, dass etliche mir wichtige Aspekte zumindest in der christlichen Spiritualität ausgeklammert oder allenfalls als mehr oder weniger tolerierte Randerscheinungen betrachtet werden. Die reine Freude am Leben hat, sobald sie praktische und weltliche Formen annimmt, kaum Platz in der Spiritualität christlicher Prägung. Erotische Lust kommt als sündendurchtränktes Laster daher oder streng reglementiert, nie aber zur reinen Freude und mit eigener spiritueller Dimension. "Die Schöpfung" soll zwar als Werk Gottes respektiert werden, jedoch wird die Beseeltheit aller Lebewesen nicht gesehen, vom Grashalm bis zum Bussard, die doch ebenso wie der Mensch den göttlichen Funken in sich tragen. Aktive Offenheit gegenüber anderen spirituellen Konzepten habe ich immer vermisst, womit ich meine, mit Menschen anderen Glaubens deren Gottesdienst zu paktizieren, ohne Angst, von den eigenen Göttern deswegen eins hinter die Löffel zu kriegen und ohne distanziert wertend zuzusehen. Von einer ganzheitlichen Weltsicht, die völlig gleichwertig Weiblichkeit und Männlichkeit enthält, brauche ich nicht zu reden, es ist bekannt, wie es in dieser Hinsicht aussieht.

Mit irgendwie gearteter "heidnischer" Mythologie und Spiritualität hatte ich mich noch nicht sonderlich beschäftigt, als mir klar wurde, dass ich immer wieder der Göttin Freyja begegnete. Dabei gab es keinerlei "Erweckungen", erst recht keine Visionen, es waren einfach Dinge wie ein Zeitungs-Artikel hier und da, ein Stück in einer Museums-Ausstellung, allerlei für sich unbedeutende Dinge, die mir auch erst in der Summe zu Bewusstsein kamen. Als das einmal geschehen war, und ich mich mit dem Konzept beschäftigte, das eine Göttin des Namens Freyja - nach der mir vorliegenden Information und in meiner persönlichen Interpretation - darstellte, konzentrierten sich diese Begegnungen in den Jahren 2000 und 2001. Auch dabei war keine grosse Dramatik beteiligt, es hat mich einige Mühe gekostet, diese Jahreszahlen zu rekonstruieren. Jedenfalls stolperte ich während dieser Zeit unter anderem über zahlreiche Artikel, fand ein Buch ("Freyja - The Great Goddess of the North" von Britt-Mari Nässtöm, Univ. Göteborg) und entdeckte eine kleine Bronzestatuette, die exakt meiner bis dahin gebildeten Vorstellung entsprach. Nach diesem Prozess kann ich wohl sagen, hat die Göttin mich gefunden und nicht umgekehrt.
Meiner Auffassung nach ist Freyja keine typische Fruchtbarkeitsgöttin. Sie ist mit dem Lust- statt dem Reproduktionsaspekt von Sexualität verbunden. Sie ist Magierin, auch Kriegerin und Totengöttin. Mir ist bewusst, dass meine Vorstellung von ihr und die Formen und Rituale, die ich mit ihr verbinde, meilenweit von dem entfernt ist, wie Germanen vor 1000 und mehr Jahren von ihr gedacht und sie verehrt haben. Lediglich fühle ich, dass dieses Konzept, dem ich für mich den Namen "Freyja" gebe, der wichtigste Kristallisations-Punkt für die Aspekte meiner Weltsicht und meiner Spiritualität darstellt.
Dieser Prozess ist noch lange nicht zuende, er hat gerade erst angefangen. Deshalb bin ich sehr begierlich darauf, von anderen ihre Weltsicht zu erfahren, und mit ihnen dem Göttlichen nachzuforschen.


 

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